Wes Anderson

written by malu winter

Heute möchte ich einmal etwas Neues wagen und anstelle eines Filmes ein paar meiner geistreichen Gedanken über einen Filmschaffenden, der zugleich Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Schauspieler ist, niederschreiben. Der gesuchte, wie es der Titel bereits verrät, ist natürlich Wesley Wales Anderson, besser bekannt als Wes Anderson. Genau das ist dieser Mann, der diese merkwürdig klinisch anmutenden, kalten und dennoch so wohligen Filme dreht. Aufgewachsen in Houston, Texas, studierte er an der Uni Austin Philosophie, wo er seinen langjährigen Freund und Arbeitskollegen Owen Wilson kennenlernte, mit welchem er auch das Drehbuch zu ihrem ersten Kurzfilm „Bottle Rocket“ schrieb. Aber um solches soll es hier eigentlich gar nicht gehen, schliesslich könnt ihr den Wikipedia-Artikel ja auch einfach selbst lesen. Ich möchte mich viel mehr darauf fokussieren, die für mich stark wiederkehrenden Themen, welche in seinen Filmen behandelt werden, zu analysieren, über den Trend, welcher er mit seiner Liebe, um es nicht Obsession zu nennen, für Symmetrien und seinen planimetrischen Kompositionen geschaffen hat.

Vor kurzem führte ich mit einem befreundeten Menschen ein Gespräch über den Einfluss einzelner Filmschaffenden, hauptsächlich Regisseurinnen auf die Welt der Filme. Immer wieder in der Geschichte des Kinos gab es Menschen, welche mit ihrer ganz speziellen Art und Weise stark mitgeprägt haben wie Filme aussehen. Wie Filme klingen. Wie Filme strukturiert sind. Wie Filme sich generell anfühlen. Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssey“ war 1968 ein bahnbrechender Meilenstein in Bezug auf Filmtechnik, Detailverliebtheit und visuellem Storytelling. So manch ein Film, wenn nicht sogar ein ganzes Genre, wäre ohne seine Arbeit vermutlich nie entstanden, oder zumindest nicht in dem Ausmass, wie wir es heute kennen. Science-Fiction fühlen sich für unsereins heutzutage ganz alltäglich an, so gross ist die schiere Masse an mittelmässigen Science-Fiction-Hollywood-Blockbustern nach Schema F. 1968 wurde Hollywood vor allem von klassischen Hollywood-Filmen (auch „Golden Age of Hollywood genannt), Musicals, Gangsterfilmen und Western geprägt. Science-Fiction war damals also etwas Aussergewöhnliches. Natürlich gab es auch zuvor bereits namhafte Science-Fiction Filme wie beispielsweise „Metropolis (1927)“ von Fritz Lang. Kubrick jedoch erhob das Genre mit „2001: A Space Odyssey“ auf ein bis dato unbekanntes Level an (Raumfahrt-)Realismus und philosophischer Tiefe. Anstelle auf die üblichen Genre-Klischees zurückzugreifen, entschied er sich für eine wissenschaftlich fundierte Vision der Zukunft, der Raumfahrt und dem Weltall im Allgemeinen, womit er unzählige nachfolgende Filme prägte. „Interstellar“, um hier nur einen zu nennen. Steven Spielberg wäre ein zweiter Kandidat für die Liste solcher Regisseurinnen. Seine Filme prägen bis heute unsere kinematografische und popkulturelle Vorstellung der 80er-Jahre. Filme wie „E. T. the Extra-Terrestrial“ und „The Goonies“ strotzen beinahe von Nostalgie und Idealismus. Sie idealisieren die Kindheit während der 80er-Jahre als etwas, das geprägt ist von Unschuld, Freundschaft und Abenteuer. Filme, in denen Kinder mit einer übermächtigen Bedrohung konfrontiert werden, diese oft durch den Zusammenhalt und die Stärke ihrer Freundschaften besiegen und dabei eine tiefgreifende persönliche Entwicklung durchmachen, die sie ein Stück weit erwachsener und weiser werden lässt. Aber nicht nur Coming of Age Filme wurden durch ihn geprägt, sondern unsere generelle Vorstellung der Ästhetik sowie die Definition der kulturellen und gesellschaftlichen Merkmale der 80er-Jahre, die bis heute immer wieder in diversen Filmen, TV-Serien und anderen Medien zu finden sind. Das offensichtlichste Beispiel ist hier natürlich „Stranger Things“, welches das Erbe von Spielberg zelebriert, durchzogen ist mit vielen Anspielungen auf Filme, TV-Serien und Popkultur im Allgemeinen und generell in beinahe sämtlichen Szenen spürbar macht. Auch wenn die Welt der Filme früher noch viel stärker von Männern geprägt ist als heute, gab es unzählige Frauen, welche die Filmwelt nachhaltig prägten. Ein Beispiel, welches ich hier nennen möchte, ist „Mad Max: Fury Road“, einer meiner Favourites, welcher ungemein stark von Kathryn Bigelows „Point Break“ geprägt wurde. Wobei gesagt werden will, dass Kathryn Bigelow die Filmwelt mit ihren Filmen generell enorm stark und nachhaltig mitgeprägt hat. So Klammer zu. Worauf ich mit all diesem Geschwafel über Filmgeschichte eigentlich hinauswollte, ist, dass meine Freundschaftsperson und ich bei unserem Gespräch festgestellt haben, dass solche „Film-Revolutionäre“ eher ein Phänomen aus der Vergangenheit sind und heutzutage eher vom Aussterben bedroht zu sein scheinen. Bei Wes Anderson handelt es sich aber um ein eben solch rares Exemplar von Regisseur.

Mir fallen persönlich wenige Personen ein, sei es nun im Hinblick auf die gesamte Filmgeschichte oder noch stärker im Bezug auf die heutige Zeit, die mit ihrem unvergleichlichen Stil einen solchen Trend ausgelöst haben wie dieser Mann. Die Art und Weise, wie er Szenen mit der Kamera einfängt, dass ganz spezielle und einzigartige Colour-Grading und Composing, die Symmetrien, die merkwürdigen kalten und dennoch emotional berührenden Dialoge, die Durchgeplantheit seiner Sets, all dies hat auf das Konto des Trends „Wes Anderson“ eingezahlt. Es gibt einen Instagram-Account sowie einen Subreddit mit dem Namen „Accidentally Wes Anderson“, der sich genau dieser speziellen Optik und Ästhetik von Wes Anderson widmet. Dort posten Menschen Bilder von Orten, Szenen und Details, oftmals sind es Gebäude aus unserer Welt, welche direkt aus einem Wes-Anderson-Film entsprungen sein könnten. 2020 erschien sogar ein gleichnamiges Buch, welches im Jahr 2022 einen Nachfolger erhielt. 2021 schwappte das ganze dann sogar auf Tik Tok über. Millionenfach wurden Videos gepostet, in welchen Menschen seinen Stil abfeierten und mithilfe von symmetrischen Bildkompositionen, pastellfarbenen Filtern und ungewöhnlichen Kamerawinkeln alltägliche Situationen in Szenen, die aus einem Wes Anderson Film stammen könnten, verwandelten oft auch unter Verwendung von Songs, welche als Wes Anderson-esk gelten. Bereits der Begriff Wes Anderson-esk sagt meiner Meinung nach viel über seinen Einfluss auf unsere Popkultur aus. Auch ich habe mich schon es Öfteren dabei erwischt, wie ich irgendwo entlang gelaufen bin und mir gedacht habe „ach, das könnte ja glatt aus einem Wes-Anderson-Film vorkommen“. Es gab auch schon Situationen, in welchen ich mich befand, beispielsweise als wir zu dritt auf meinem Balkon in einem kleinen Kesselchen ein Lagerfeuer gemacht hatten, eine Biene beerdigten und dazu „In Search Of The Lost Chord“ von den Moody Blues gehört haben, meinte sogar mein Kollege, der lediglich einmal einen Wes-Anderson-Film mit mir geschaut hat, dass er sich gerade ein wenig so fühle wie in einer Eröffnungsszene eines Films, der von ihm sein könnte. Sein Einfluss beschränkt sich aber nicht nur auf Internetphänomene und komische Freundschaftsgruppen, sondern auch auf die Filmwelt. In unzähligen Filmen gibt es Einstellungen, welche ganz klar an seine Ästhetik angelehnt sind. Beispielsweise die Szene in „La Chimera“, in welcher Arthur zu Beginn im Zug fährt, hat mich persönlich extrem stark an Wes Anderson denken lassen. Auch Yorgos Lanthimoss Filme erinnerten mich von Beginn an stark an Wes Andersons Werke. Natürlich hat Wes Anderson diesen Stil nicht erfunden. Stanley Kubrick, Alfred Hitchcock oder auch Andrei Tarkowski hatten bereits zuvor ähnliche Stilmittel in ihren Filmen verwendet. Auch „Amélie“ ähnelt in seiner Bildsprache und anderen Aspekten stark Wes Andersons Filmen. Wes Anderson jedoch nahm all diese Stilmittel, hob sie auf ein neues Niveau, setzte ihnen seinen eigenen Stempel auf und trieb das Ganze immer weiter auf die Spitze. Und so finde ich dann doch gerechtfertigt zu sagen, dass er wohl den stärksten Einfluss auf die Verbreitung davon hatte.

Lassen wir das ganze filmhistorische Geschwafel aber nun endgültig sein und gehen ans Eingemachte. An die Frage, was seine Filme denn nun so einzigartig und unverkennbar macht? Die Antwort scheint, wie bereits sehr detailreich ausgeführt, auf der Hand zu liegen. Sein Stil. Die Symmetrien. Die planimetrischen Kompositionen. Aber so einfach ist es dann eben doch nicht. Natürlich sie die Bilder, welche er mit seinen Filmen erschafft, ikonisch und es ist ein leichtes einen Wes Anderson Film anhand eines einzelnen Frames wiederzuerkennen. Aber es endet eben nicht mit dem Optischen. Auch seine Dialoge sind einzigartig und verstärken das Gefühl von Spurrealität. Wes Anderson legt bei seinen Filmen grossen Wert darauf, dass sich die Welt auf eine ganz spezielle Art und Weise künstlich anfühlt. Bei jeder einzelnen Szene wird akribisch darauf geachtet, was wo und auf welche Art inszeniert wird, nichts wird dabei dem Zufall überlassen, wodurch dann dieser künstliche, ja beinahe schon klinische Look erzeugt wird, der viele an ein Puppenhaus erinnern lässt. Auch die Dialoge wirken oftmals wahnsinnig skurril und unecht, ganz und gar nicht, wie wir dies aus anderen Filmen gewohnt sind. Die Charaktere wirken oft wie Metaphern oder Blaupausen für gewisse Archetypen, sind nicht greifbar und wirken überhaupt nicht real. Im Gegenteil. Sie sprechen in kühlem Ton über dramatische Geschehnisse, verziehen dabei keine Miene, zeigen keine Emotionen, haben einen enorm abstrakten Humor und machen es einem alles andere als einfach, sich mit ihnen zu identifizieren. Aber genau darin liegt für mich die Genialität begraben. Denn irgendwie schafft es Herr Anderson durch eben genau diese Faktoren, eine unglaublich hohe emotionale Fallhöhe zu erzeugen, welche mich immer wieder auf Neue mitgenommen hat. Die Kombination dieser Kühlheit und Künstlichkeit mit den ernsthaften und dramatischen Themen, welche er in seinen Filmen behandelt, erschufen für mich seit jeher ein unvergleichbares Seherlebnis.

So unterschiedlich seine Filme auf den ersten Blick sein mögen, finde ich dennoch, dass sich gewisse Themen herausarbeiten lassen, welche sich durch beinahe alle seiner Filme durchziehen. Vergangenes Jahr habe ich mich darangesetzt, mich durch seine komplette Filmografie zu arbeiten. Als ich dann den letzten Film gesehen hatte, schrieb ich auf Letterboxd „now after i accomplished watching every movie of wes anderson im very much convinced that this guy has some serious daddy issues“. Natürlich ist dies ganz typisch für Letterboxd, extrem plakativ und stark heruntergebrochen und dennoch stehe ich bis heute hinter meiner Aussage. Gerne mag ich dies erklären. Ein Motiv, welches in beinahe sämtlichen Filmen aufzufinden ist, sind emotional stark abwesende Elternfiguren, meistens Vaterfiguren. Sei es nun der titelgebende Mr. Fox, welcher seinem Kind Ash nicht das Gefühl geben kann, dass Ash von ihm gesehen und geliebt wird und stattdessen Ashs Cousin Kristofferson diese Zuneigung gibt. Atari Kobayashi ist der Sohn vom faschistischen Präsidenten Mayor Kobayashi, der nicht auf die Bedürfnisse seines Sohns eingeht und stattdessen lieber den Genozid an Hunden plant. In „The Life Aquatic with Steve Zissou“ trifft Ned im Erwachsenenalter auf seinen Vater Steve Zissou, welcher ihn zu Beginn eher ausnützt und ihn als eine Art Trophäe zu sehen scheint. Die Mutter der drei Brüder in „The Darjeeling Limited“ ist ebenfalls alles andere als emotional erreichbar und was dies im Leben eines Menschen alles so anrichten kann, wird wunderbar verhandelt. Das offensichtlichste Beispiel dafür brauche ich vermutlich gar nicht weiter auszuführen, denn das Royal Tennenbaum kein sonderlich toller Vater ist, wird wohl allen klar sein. Neben diesen mit Abwesenheit glänzenden Elternfiguren werden dann immer wieder Kinder gestellt, welche sich überhaupt nicht ihrem Alter entsprechend verhalten. Sie wirken wie kleine Erwachsene. Sie müssen die Verantwortung übernehmen, vor welcher sich die eigentlichen Erwachsenen, welche wiederum sehr kindlich dargestellt werden, drücken. Es sind also parentifizierte Kinder und Man-Childs. Besonders deutlich empfand ich dies in „Moonrise Kingdom“. Die Beziehung zwischen Suzy und Sam wirkt nicht wie eine zwischen zwei Kindern, sondern vielmehr wie die zwischen zwei Erwachsenen. Ob Wes Anderson nun wirklich Daddy Issues hat oder ob es einfach seine Art und Weise ist, wie er seine Aussagen verpacken mag, kann und will ich nicht abschliessend beantworten. Vermutlich liegt die Antwort wie so oft irgendwo in der Mitte.

Ich glaube, viele Menschen übersehen bei seinen Filmen oftmals die eigentliche Aussage. Wes Andersons Filme sind für mich nämlich zumeist stark politische und ideologische Filme, welche ganz klare Positionen beziehen, sie verstehen sich nur sehr gut darin, diese zu tarnen. „Fantastic Mr. Fox“ ist die Geschichte einer kleinen Kommune von Arbeiter*innen, welche sich gegen eine grosse Firma auflehnen und somit in den aktiven Klassenkampf treten. „Isle of Dogs“ ist offenkundig eine Auseinandersetzung mit dem Thema Genozid. Es verhandelt aber auch die Zerstörung der Umwelt, die Bedeutung von Informationshoheit und spielt mit der Trope des „White Saviourism“. In „The Grand Budapest Hotel“ wird der Zweite Weltkrieg und die Deportation und Tötung von marginalisierten Menschen verhandelt. „Moonrise Kingdom“ hingegen erzählt meiner Meinung nach die Liebesgeschichte eines jungen Soldaten im Auslandseinsatz und einer einheimischen jungen Frau (im Vietnam?). Diese Liste könnte nun beliebig lange weitergeführt werden, aber ich vermute, dass mein Punkt auch bereits so klar genug sein sollte. Wes Anderson schafft es also wie kein Zweiter politisch brisante Themen anzusprechen, dabei einen einzigartigen Look zu erzeugen und gleichzeitig Menschen auf eine neue Art und Weise für Kinematografie und Film zu begeistern. Und wenn das alles nicht reicht, um in Begeisterungsstürme für einen Regisseur zu fallen, dann weiss ich auch nicht, was dies denn zu vermögen wüsste.