Do Not Expect Too Much from the End of the World

written by malu winter

Selten habe ich es als derartig anstrengend empfunden, mir einen Film anzusehen. Ja, ich war phasenweise geradezu gelangweilt. Denn im Film geschieht beinahe nichts. Wir verfolgen einzig Angela (gespielt von Ilinca Manolache) durch ihren Alltag. Wir wachen gemeinsam mit ihr auf und können ihre Müdigkeit beinahe spüren. Wir fahren gemeinsam mit ihr von A nach B von B nach C und wieder zurück nach A. Wir stecken gemeinsam mit ihr im Stau. Erleben die Aggressionen der anderen Verkehrsteilnehmer hautnah mit. Wir treffen gemeinsam mit ihr die Menschen, welche sie für das Casting des anstehenden Films besucht. Wir erhalten aber auch einen Einblick in ihr Alter Ego, Bobita, welches sie im Internet auslebt. Denn Angela nutzt jede freie Sekunde, um kurze Clips für ihre Tik Tok zu produzieren und diese hochzuladen. In diesen Videos nutzt sie einen schlechten Gesichtsfilter, mit dem sie zu einer Art Andrew Tate auf Wish bestellt wird, provokative bis hin zu misogynen Aussagen tätigt, um sich damit über die sogenannten Sigmas und Alpha-Männer und ihrem Kult an toxischer Männlichkeit lustig zu machen. So zumindest habe ich diese Szenen verstanden. Sie filmt diese Videos aber nicht nur, wenn sie alleine und ungestört ist. Nein, ganz im Gegenteil. In den gefühlt unpassendsten Momenten zückt sie ihr Telefon und filmt sich selbst, wie sie in die Kamera hineinflucht. Was die Menschen um sie herum darüber denken könnten, scheint sie nicht im Geringsten zu interessieren.

Der Film ist komplett in schwarz-weiss gehalten, was für viele Menschen sicherlich bereits einen Bruch mit ihrer Sehgewohnheit darstellt. Es ist aber nicht so, dass dieses Stilmittel notwendig ist, um diesen Bruch zu verursachen. Denn auch die Erzählform des Films vermag es sicherlich, dass viele nichts mit diesem Film anzufangen wissen. Wie bereits erwähnt, habe auch ich mich schrecklich gelangweilt, während ich aber gleichzeitig doch sehr interessiert daran war, wo diese Reise denn nun genau hingeht. Angela arbeitet für eine Produktionsfirma, welche gerade für ein internationales Unternehmen einen Film zum Thema “Sicherheit am Arbeitsplatz” filmt. Angela ist dabei die Person, welche zu den möglichen “Schauspielern” fährt und mit ihnen die Castingtapes aufnimmt. Glanz und Glamour sucht man hier aber vergebens. Sie begegnet Menschen mit schweren Schicksalen. Menschen, die schlimme Unfälle erlebt haben und nun die Angestellten dieser ominösen internationalen Firma dazu anhalten sollen, sich doch bitte an die Sicherheitsvorschriften zu halten, denn sie wollen ja schliesslich nicht so enden wie die Gezeigten im Film.

Das Absurde dabei ist, dass Angela während ihrer Arbeit beinahe jegliche Regeln bezüglich Sicherheit am Arbeitsplatz missachtet. In erster Linie nicht, weil sie das will, sondern weil sie gar keine Wahl hat. Vorschriftsgemäss informiert sie ihren Vorgesetzten darüber, dass sie stark übermüdet sei und dringend eine Pause braucht, dieser jedoch schmettert ihr Bedürfnis ab, mit der Begründung, dass die Produktion eh bereits zeitlich im Verzug ist und sie sich das nicht leisten könnten. Sie ist also gezwungen, über ihre eigenen Grenzen herauszuwachsen. Sie ist dazu gezwungen, nicht auf ihre menschlichen Bedürfnisse zu hören. Eigentlich ist sie dazu gezwungen, dass Menschsein abzulegen und zu funktionieren, als wäre sie eine Maschine. Die Spannung, welche der Film damit erzeugt, ist äusserst subtil und doch enorm einnehmend. Ich habe mir während grossen Stücken des Filmes grosse Sorgen gemacht, ob Angela wohl etwas zustossen wird. Die Ironie gipfelt dann in der Segnung zwischen Angela und der CEO dieser internationalen Firma, welche sie am Flughafen abholen will. Die CEO fragt Angela nach den Arbeitsbedingungen an Filmsets, woraufhin Angela zu erzählen beginnt. Auf Nachfrage, ob dies alles bei diesem Film denn auch so sei, versichert Angela ihr, dass sich hier an sämtliche Vorschriften gehalten werde.

Gemeinsam mit Angela besuchen wir Menschen, welche sich gemeldet haben, in diesem Film mitzuspielen. Sie habe allesamt für die internationale Firma gearbeitet und Unfälle erlitten. Die Firma weigert sich aber für Kosten aufzukommen. Schliesslich haben sie sich ja nicht an die Sicherheitsvorschriften gehalten und sind somit selber Schuld an ihrem Elend. Die Menschen riskieren durch ihre Teilnahme an dieser Produktion sogar einen allfälligen Gerichtsprozess zu verlieren, da die Teilnahme mit einem Schuldeingeständnis gleichgestellt wird. Dies wird aber billigend in Kauf genommen, da die Aussichten, in einem Gerichtsprozess gegen ein milliardenschweres Unternehmen zu gewinnen, ja bekanntlicherweise nicht allzu hoch sind. Die Gage, die ihnen angeboten wird, scheint dann doch verlockender. Ein Schicksal, welches Menschen aus der Arbeiter*innenklasse vermutlich unangenehm bekannt erscheinen mag. Das Ganze wird in der absolut grandiosen letzten Szene, welche ich hier nicht vorwegnehmen möchte, noch mal auf ein neues Level gehoben.

Auf die Autofahrt mit der CEO möchte ich hier nochmals eingehen. Angela verwickelt die Frau in ein Gespräch und fragt, ob sie denn tatsächlich mit Göthe verwandt sei. Als diese bejaht und gefragt wird, was ihr Lieblingswerk sei, muss sie aber zugeben, dass sie die Texte ihres Verwandten nicht wirklich kennt. Angela scheint enttäuscht zu sein. Stattdessen spielt sie der Frau auf Wunsch rumänische Volksmusik ab und erzählt ihr einiges über Bukarest. Die Geschichte rund um den Präsidentschaftspalast, welcher mitten in der Stadt steht, überdimensional gross, ja beinahe schon megalomanisch ist und für welchen Hunderte Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben werden mussten, hat mich dann doch sprachlos gemacht. Ebenso wie die Anekdote und die dazugehörige Montage zu der gefährlichsten Strasse Rumäniens. Der Film geht schonungslos mit der heutigen Zeit ins Gericht und führt einem auf wundersame Art und Weise vor Augen, in welch schrecklichen, langweiligen und hoffnungslosen Dystopie wir doch bereits heute schon leben.