Hardly Working

written by malu winter

Auf diese Kurzfilmperle bin einzig und allein durch den wundervollen Podcast “Cuts” von Christian Eichler gestossen. Gerne oute ich mich hier an dieser Stelle als ganz grosser Fan von diesem Podcast. Ich will ehrlich sein und sagen, dass es mir ein wenig schwerfällt, dieses Review zu verfassen, da ich noch nie über einen Kurzfilm geschrieben habe. Wer mein letterboxd verfolgt, weiss aber, dass dieser Film es mir angetan hat. Um was geht es also: Der Film spielt in der Welt von Rockstars Red Dead Redemption II, wurde vollständig in der Engine des Spiels gedreht und wir verfolgen einige der NPCs, welche in eben dieser Welt leben. Bei meiner Recherche habe ich gelernt, dass es sogar eine Genrebezeichnung für Filme, die in Game-Engines aufgenommen wurden, gibt: Machinima. Wie der Name es schon verrät, ist es eine Verschmelzung der Begrifflichkeiten machine und cinema. Ein Genre, das bislang komplett an mir vorbeigezogen ist, aber scheinbar eine grosse Fanbase hat und seit langem und regelmässig bespielt wird. Da ich dieses Thema sehr spannend finde, folgt hier ein kurzer Exkurs in die Thematik des Machinima-Genre.

Zugegebenermassen ist es gar nicht so leicht, die Entstehung genau nachzuvollziehen. Was sich aber sagen lässt, ist, dass es sich bei den ersten Aufzeichnungen von Videospielmaterial um Speed Runs gehandelt haben muss. Menschen versuchten dabei gewisse Level oder Abschnitte eines Spiels, oftmals handelte es sich dabei um “Quake” oder “Doom”, möglichst schnell zu absolvieren. Mit der Zeit begannen die Spieler*innen diesen Aufzeichnungen Handlungsstränge hinzuzufügen wodurch dann die ersten sogenannten “Quake-Movies” entstanden, welche rasch an Popularität gewannen. Ein weiterer Faktor, welcher Doom zum idealen Spiel für solche Projekte machte, war die Tatsache, dass es Spielerinnen möglich war, ihre eigenen Modifikationen und Karten zu verwenden. Am 26. Oktober 1996 veröffentlichte der renommierte Clan “Rangers” dann den ersten weithin bekannten Machinima Film “Diary of a Camper”. Der Film dauerte lediglich rund 100 Sekunden, aber es war das erste Mal, das neben des ganzen Gore auch eine Art von Story erzählt wurde. “Diary of a Camper” diente dann als Inspiration für unzählige weitere “Quake Movies”. Mit der Veröffentlichung von “Devil’s Convenant” erschien 1998 der erste mehrstündige Machinima-Film, welcher vom Phantom-Clan gedreht worden ist. 1998 prägte dann Anthony Bailey das Genre durch die Umbenennung in “Machinema”. Nun stellt sich noch die Frage, weshalb wir das Genre heutzutage unter dem Namen Machinima und Machinema kennen. Hugh Hancock nahm diese Änderung vor und zwar aufgrund eines Orthografiefehlers in einer E-Mail-Konversation. Nachträglich wurde dann immer wieder argumentiert, dass dieser Name eigentlich passender sei, da er neben machine und cinema auch noch das Wort animation miteinbeziehen würde.

Kommen wir aber nun zum eigentlichen Thema dieses Artikels. Hardly Working. Produziert von dem österreichischen Kollektiv “TOTAL REFUSAL”, welches sich selber als “pseudo-marxistische Medien-Guerilla” bezeichnet. Der Film feierte seine Uraufführung am Locarno Film Festival und ist auf der Videoplattform “Vimeo” für alle frei zugänglich. Aber worum gehts denn nun? Der Film erforscht die Arbeits- und Lebensrealitäten von NPCs in Zeiten des Kapitalismus. Immer noch sehr wenig sagend? Fair enough. Der Film begleitet vier NPCs, namentlich den Stallknecht (A_M_M_VALLaborer_01 as “The Stable Hand”), den Schreiner (A_M_M_NBXDockworkers_01 as “The Carpenter”), die Waschfrau (A_F_M_SDSlums_02 as “The Laundress”) und die Strassenkehererin (A_F_M_Asbtownfolk_02 as “The Street Sweeper”). Nun stellt sich einigen von euch bestimmt die Frage was daran denn genau interessant sein soll. Zugegebenermasen klingt dieses Konzept nicht sonderlich spannend. Eher im Gegenteil. NPCs sind nicht gerade dafür bekannt, spannende Figuren zu sein. Vielmehr geniessen sie den Ruf, etwas unbeholfen bis dumm zu sein. Und genau dies macht sich die Doku zum Vorteil. Wir erhalten also einen sehr tiefgreifenden Einblick in die Lebensrealitäten dieser von den Entwicklerinnen zu Statistinnen verdonnerten Lebewesen. Aber auch das ist noch kein Garant für ein spannendes Seherlebnis. Ein unterhaltsames vielleicht, ja, aber spannend, nicht wirklich. Und hier kommt dann die Einordnung, welche vom Voiceover der Dokumentation vorgenommen wird ins Spiel.

Die Dokumentation ist politisch. Und zwar nicht nur ein wenig. Man spürt in jeder einer Szene, dass die Menschen hinter dem Kollektiv TOTAL REFUSAL ganz genau gewusst haben, was sie gerne aussagen wollen und welche Message sie gerne transportieren möchten. Sie schaffen es auf eine für mich selber nicht 100-prozentig nachvollziehbare Art und Weise einen Bezug auf die reale Welt herzustellen, systemische Probleme anzusprechen, diese zu verhandeln und Kritik an der vorherrschenden kapitalistischen Weltordnung auszuüben. Ganz gelungen dabei empfand ich die Tatsache, dass sie trotz all der grossen und wichtigen Themen zu keinem Zeitpunkt zu vergessen scheinen, dass wir uns noch immer in einem Videospiel befinden und sich daher auch nie allzu ernst nehmen. Es wird nie der Eindruck vermittelt, dass das Gezeigte respektive das Gesagte als bare Münze genommen werden sollte, aber eben auch nicht, dass es sich bei all dem um rein fiktive und weit von der Realität entfernte Probleme handelt, zu welchen wir als echte Menschen keinerlei Anknüpfungspunkte finden können. Die Balance, welche hier gefunden wurde und die Dissonanz, welche dadurch entsteht, bietet viele Reibungspunkte und brachte mich unweigerlich dazu, mich meine Existenz und meine Rolle als Arbeitnehmerin zu hinterfragen und so manch ein Aspekt dieser Lebensrealität neu zu untersuchen und einzuordnen. Die Waschfrau sitzt den ganzen lieben langen Tag an Ort und Stelle und wäscht ein Kleidungsstück nach dem anderen. Nichts und niemand scheint sie davon abhalten zu können. Sie sitzt einfach da und wäscht. Tagein tagaus. Sie macht dies, weil sie vom Code, welcher diese Welt definiert, dazu verdonnert wurde, eben dies zu tun, ohne die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit zu hinterfragen. Sie ist dabei so fokussiert auf den Reinigungsprozess, dass es so wirkt, als ob sie vergisst, dass die gewaschenen Kleidungsstücke eigentlich zum Trocknen aufgehängt werden müssen. Das scheint sie aber nicht zu interessieren. Schliesslich sieht der Code respektive das Anforderungsprofil ihrer Anstellung nicht vor, dass sie die Wäsche aufzuhängen hat. Also tut sie dies auch nicht. Sobald sie mit ihrer Arbeit fertig ist, steht sie auf und geht davon. Dabei ist bemerkenswert, dass sich trotz der ständigen, ungesunden, gebeugten Sitzposition, welche sie beim Nachgehen ihrer Tätigkeit innehat, nichts an ihrer aufrechten Körperhaltung geändert hat. Die Tatsache, dass sie theoretisch von schrecklichen Rückenschmerzen geplagt sein sollte, interessiert sie nicht. In der Nacht streunt sie entweder ziellos durch die Strassen der kleinen Stadt oder steht einfach da und macht nichts. Sie legt sich nicht hin, scheint keine Pause, keine Auszeit und keine Erholung zu brauchen. Beinahe so, als würde sie sich weigern, durch Erholung ihren Körper, der ihr Arbeitskapital darstellt, zu schützen, um so sicherzustellen, dass sie am kommenden Tag erneut in der Lage ist, ihrer Arbeit so gut und effektiv wie möglich nachzugehen. Sie verweigert sich damit unbewusst dem Verwertbarkeitsprinzip, auf welchem die ihre wie auch die unsere Gesellschaft Fuss fasst. Es gibt Tage, an welchen ihr Waschbecken bereits von einer anderen Waschfrau besetzt ist. Aber unsere Waschfrau lässt sich davon nicht aus dem Konzept bringen. Denn sie hat schon lange verstanden, dass sie wie auch ihr Körper komplett austauschbare Waren zur Erledigung der ihr zugeschriebenen Aufgabe sind.

Der Stallknecht verhält sich sehr ähnlich zu der Waschfrau. Auch er verweigert jegliche Form der Regeneration, indem er beispielsweise jeden Mittag hinsetzt, ein bis zwei Löffel von seinem Eintopf isst, feststellt, dass dieser ihm nicht schmeckt und diesen dann stehen lässt. Auch der ist also nicht bereit, etwas dafür zu tun, um seine Arbeitsleistung zu steigern. Sobald er Feierabend hat, geht er in eine Bar und setzt sich an die Theke. Dort sitzt er und tut nichts. An manchen Tagen bestellt er ein Bier, von welchem er dann wiederum auf die ganze Nacht verteilt ein paar wenige Schlucke trinkt. Er verweigert sich, Teil der Konsumgesellschaft zu sein. Wenn der Morgen naht, verlässt er die Bar und macht sich auf den Nachhauseweg. Aber auch er schläft nicht, macht keine Pause und unternimmt keinerlei Versuche, sich zu erholen. Stattdessen beginnt er, immer an derselben Stelle auf seinem Weg zu glitchen. Das heisst, dass er wie eingefroren an Ort und Stelle steht und nichts tut. Er steht einfach nur da und sieht in den Himmel. Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass er sich nicht den Himmel anschaut, nein, er steht da, sein Blick in den Himmel gerichtet und tut nichts. Manchereins wird nun sagen, dass es sich dabei eben einfach um einen Glitch handelt. Aber was der Stallknecht hier tut, ist viel mehr als einfach nur zu glitchen. Durch sein nichts tun, durch die Verweigerung irgendetwas zu tun sein, es konsumieren oder sich zu erholen, beraubt er genau so, wie es auch die Waschfrau tut, die beherrschende Klasse. Denn im Kapitalismus gehört die Zeit der arbeitenden Klasse den Menschen, die diese gekauft haben und nicht den Arbeiter*innen selber. Die Waschfrau und der Stallknecht berauben durch ihr Nichtstun die besitzende Klasse ihrer Kontrolle über ihre Zeit. Müssiggang ist Diebstahl. Müssiggang ist ein revolutionärer Akt. Denn würden wir alle gemeinsam öfter einfach Nichtstun und dadurch die uns Beherrschenden ihrer Kontrolle über uns und unserer Zeit berauben, würde dies einen sehr grossen Einfluss auf das System wie auch die Welt, in der wir leben, haben und dieses möglicherweise sogar zum Stillstand bringen. Daher sollten wir alle vielleicht einfach öfter Nichtstun. Unsere Arbeitgeber berauben. So, can we start glitching?